Überschreitungen des ADL

Bei den meisten Tauchgängen, die ein Pinguin unternimmt, erreicht er längst nicht seine Maximaltiefe und auch nicht sein Sauerstofflimit. Dennoch verblüfft besonders der Kaiserpinguin die Wissenschaftler damit, dass er sein errechnetes Sauerstofflimit während freiwilliger Tauchgänge regelmäßig um ein Vielfaches überschreitet. Die Menge des theoretisch verbrauchten Sauerstoffs wird aus dem minimalen Stoffwechsel des Pinguins, der Beanspruchung, also der Schwimmgeschwindigkeit und aus dem Wärmeverlust errechnet. Das Verhältnis von gespeichertem Sauerstoff und theoretisch benötigtem Sauerstoff ergibt das "erwartete aerobe Tauchlimit" des Pinguins, das als ADL ("estimated Aerobic Dive Limit") bezeichnet wird. Mit aerob wird hier bezeichnet, dass in dieser Zeit der Stoffwechsel mit Sauerstoff arbeitet. Bleibt der Pinguin wesentlich länger als seine ADL-Zeit unter Wasser, dann kann man trotz der eher ungenauen Schätzwerte die zum ADL - Wert geführt haben, davon ausgehen, dass nun nur noch anaerobe Stoffwechselreaktionen im Organismus des Tieres ablaufen. Das ist so verallgemeinert nicht ganz korrekt, weil die Verteilung des Sauerstoffs sehr differenziert erfolgt und Zentrales Nervensystem und Myokard ganzzeitig aerob versorgt werden, während große Teile der Muskulatur und sonstiger Organe frühzeitig auf den anaeroben Stoffwechsel umstellen.

Ziel der Zellatmung (des katabolen Stoffwechsels) ist die Synthese von Adenosintriphosphat, kurz ATP gennant, das so etwas wie den universellen Energieträger bei Tieren und Menschen darstellt. Das ATP Molekül trägt drei Phosphatgruppen, bei deren Abspaltung verschiedene Energiebeträge frei werden und vom Organismus genutzt werden können. Die Abspaltung der ersten Phosphatgruppe von ATP zu ADP + Pi ist besonders energiereich und wird daher bei vielen Prozessen genutzt. Die Natrum-Kalium-ATPase spaltet ATP und nutzt die Energie, um die Erregbarkeit von Nerven sicher zu stellen (durch Aufbau und Aufrechterhaltung eines Ruhemembranpotentials), Strukturänderung des Myosins bei ATP Spaltung kann eine Muskelkontraktion bewirken.

ATP wird an vielen Stellen im Körper gebraucht und muss daher ständig neu gebildet werden, um als Energievorrat zur Verfügung zu stehen. Das Gros des synthetisierten ATPs entsteht während der Endoxidation in den Mitochondiren der Zellen, die jedoch viel Sauerstoff verbraucht.

Daneben entsteht auch bei den der Endoxidation vorausgehenden Stoffwechselschritten ein wenig ATP, so zum Beispiel bei der Glykolyse je ein mol ATP, wenn ein mol 1,3 Bisphosphoglycerat in ein mol 3-Phosphoglycerat überführt wird. Da diese Prozesse anaerob ablaufen, könnten sie auch unter Wasser problemlos weiterlaufen, würde die Herstellung von 1,3 Bisphosphoglycerat aus Triosephosphat nich das, nur in katalytischen Mengen vorhandene, NAD+ zu NADH+H+ reduzieren.
Um das NADH+H+ wieder zu oxidieren zu können und damit Umsetzung aufrechtzuerhalten, wird das Endprodukt der Glykolyse - Pyruvat - durch Aufname eines Reduktionsäquivalents Hydrid zu Lactat reduziert. Lactat stellt jedoch eine Sackgasse im menschlichen wie Pinguinstoffwechsel dar und kann erst unter aeroben Bedingungen durch die Lactat-Dehydrogenase mit NAD+ als Reduktionsäquivalentakzeptor wieder zu Pyruvat oxidiert werden.

Lange anaeroben Stoffwechselphasen führen beim Pinguin also zwangsläufig zur Ansammlung von Lactat, besonders in der Muskulatur, wo der aerobe Stoffwechsel schon früh zum Erliegen kommt. Sobald der Pinguin an der Wasseroberfläche wieder geatmet hat, kann NADH+H+ in der Endoxidation wieder oxidiert werden. Somit kann auch das Lacatat zu Pyruvat oxidiert schließlich als Acetyl-CoA in den Citratzyklus gegeben werden. Je länger ein Tauchgang gewesen ist, desto länger dauert auch die Regenerationsphase an der Oberfläche. Aus Untersuchungen an Wedellrobben, die ebenfalls exzellente Taucher sind, weiß man, dass sie die Milchsäure eines 45 minütigen Tauchgangs innerhalb von drei Stunden vollständig abbauen - bei einem ADL von 30 Minuten. Allerdings haben Untersuchungen an Kaiserpinguinen gezeigt, dass sie oft wesentlich kürzere Regenerationsphasen einhalten, als dies zu erwarten wäre. So lagen zwischen drei Tauchgängen von sechzehn, vierzehn und zehn Minuten eines Kaiserpinguins gerade einmal drei und sieben Minuten Regenerationsphase - und das, obwohl ein Kaiserpinguin eine ungefähre ADL von nicht mehr als fünf Minuten hat. Somit vermögen die Pinguine, auch ohne einen vollständigen Laktatabbau mehrmals hintereinander zu tauchen. Wie dies physiologisch möglich ist, ist noch nicht vollständig geklärt. Der, die Tauchzeit am stärksten limitierende Faktor, ist somit die Versorgung des Zentralen Nervensystems und des Herzens, die durchgehend aerob erfolgen muss.